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Rede von Herrn Regierungspräsident Andreas Wiebe zur Amtseinführung von Herrn Oberstudiendirektor Hans-Joachim Nolting am 29. Januar 2005

Anrede,

ich freue mich heute die Einführung von Herrn Oberstudiendirektor Hans-Joachim Nolting in sein Amt als neuen Leiter des Ratsgymnasiums hier bei uns in Bielefeld vornehmen zu können. Ich möchte damit ganz bewusst dieses Gymnasium würdigen.

Dass das Ratsgymnasium etwas Besonderes ist in unserer Stadt ist schon am Gründungsjahr 1558 und seinem beeindruckenden Gebäude erkennbar. Ein Gebäude, das im Übrigen schon mit seiner Fassade dokumentiert, wie wertvoll, wie bedeutend die Ausbildung junger Menschen eingeschätzt wird. Auch diese Aula drückt die Wertschätzung der Institution „Schule“, der in ihr arbeitenden Pädagoginnen und Pädagogen und ihrer wichtigen Aufgabe aus.

Aber es ist auch wahr, dass das Ratsgymnasium keine einfachen Jahre hinter sich hat. Der gesellschaftliche Wandel ganz allgemein, die Veränderung der Bildungsanforderungen, die Wirtschaft und Wissenschaft an uns stellen, der zunehmende Wettbewerb und interne Konflikte, all das verlangt nach Kursbestimmung und Orientierung zwischen Tradition und Innovation. In dieser Situation bekommt die Schule mit Hans-Joachim Nolting eine neue Führung.

Eine Führung, die hier am Ratsgymnasium und nicht nur hier erprobt und bewährt ist. Herr Nolting ist seit 2001 als ständiger Vertreter Studiendirektor am Ratsgymnasium und kennt das Schulleben, kennt Menschen und Gebäude gut. Besonders gut kennt er den Dachboden. „Herr Nolting arbeitet selbstbewusst. Er hat die Schule als Ganzes im Blick. Schnell erkennt er Schwierigkeiten, wägt ab und handelt überlegt“, so urteilte mein Schulaufsichtsdezernent letztes Jahr.

Ich hebe diese Aussage über seinen Führungsstil ganz bewusst hervor, weil es auf die Führung durch den Schulleiter in Zukunft ganz besonders ankommt. Zentraler Bestandteil der Schulreform in NRW ist die größere Selbständigkeit der Schulen und damit die Stärkung des Schulleiters in seiner Verantwortung für die Erreichung der Bildungsziele. Schulleitung muss gestärkt werden gegenüber Einzeleingriffen und Überregulierung durch Gesetze und Erlasse. Sie wird gestärkt werden als verantwortliche Person für die Erreichung der Bildungsziele, und sie wird gestärkt werden als Vorgesetzter. Damit wir uns nicht missverstehen: Selbständigkeit ist kein Selbstzweck sondern Selbstgestaltungsauftrag: Sie dient dem Ziel, die notwendige Aufholjagd unseres Bildungssystems erfolgreich zu gestalten. Die Erfahrungen anderer Länder belegen: Je selbständiger eine Schule ist, desto besser sind die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, wenn Eigenverantwortung gestärkt wird, wird sie zum Motor der Schulentwicklung und vor allem dem zentralen Anliegen: der Verbesserung des Unterrichts.

Im Regierungsbezirk Detmold sind wir dabei ganz oben in NRW. Über 30 % aller Schulen haben sich als Selbständige Schulen und Korrespondenzschulen diesem Entwicklungsprozess angeschlossen. 130 Trainer für Unterrichtsentwicklung sind im Einsatz. Über 5000 Lehrkräfte haben sich schon beteiligt. Dem Schulleiter kommt hier natürlich eine besondere Aufgabe zu. Aber natürlich ist Schulleitung nicht nur eine Management- und Kommunikationsaufgabe sondern auch in Zukunft eine große Herausforderung an die pädagogische Qualifikation und Leistungsbereitschaft. Als Job ist eine Schule nicht zu leiten; für diesen Beruf muss man sich berufen fühlen. Berufen fühlen für die Profession der Wissensvermittlung, vor allem aber für das Eingehen und Umgehen mit Kindern und Jugendlichen und für ihre Formung zu erwachsenen Menschen. Für diesen Auftrag bringt Herr Nolting ausgezeichnete Voraussetzungen mit.

Er versteht es, mit dem richtigen Gespür auf die Schülerinnen und Schüler einzugehen und weiß gleichzeitig, Grenzen zu setzen. Er kann fördern und fordern. Denn auch das ist es, was wir als Aufgabe von Schule ernst nehmen: Es ist Anstrengung erforderlich, etwas Neues zu lernen und ein gelungener Bildungsprozess zeichnet sich dadurch aus, dass die Anstrengung der jungen Menschen zu guten Ergebnissen führt. Was einem in den Schoß fällt wird nicht geschätzt, so wie das, was umsonst zu haben ist, keinen Wert zu haben scheint. Hier kommt den Lehrkräften die schwierige Aufgaben zu, jeden Tag auf dem Grad zu wandern zwischen Motivation und Forderung, zwischen Verständnis für die jeweils individuelle Persönlichkeit der jungen Menschen und dem klaren und unbestechlichen Urteil in Form von Zensuren.

Noch wichtiger wird dieses klare Urteil dann werden, wenn das zentrale Abitur mit dem Schuljahr 2006/2007 auch in Nordrhein-Westfalen eingeführt ist. Denn das ist die notwendige Ergänzung der größeren Selbständigkeit der Schulen: Die Überprüfung von Wirksamkeit und Qualität. Zusammen mit Kernlehrplänen, den Lernstandserhebungen in den Klassen 4 und landeseinheitlichen Aufgaben am Ende der 10. Klasse (Untersekunda) stellt das zentrale Abitur das Gesamtkonzept der Qualitätssicherung des Schulwesens dar. Dass sich damit die Schulaufsicht wesentlich verändert, liegt auf der Hand. Nicht der „Oberschulleiter“ mit wehendem Mantel – ohnehin heute mehr Zerrbild als Abbild der Realität – sondern die Ermittlung der Wirkung des Gesamtsystems Schule und seine Steuerung sind das Leitbild der neuen Schulaufsicht; Schulinspektionen sind das zentrale Instrument. Die Bezirksregierung Detmold ist da – Sie haben das in der Neuen Westfälischen am Donnerstag gelesen - mit der externen Zertifizierung unserer Dezernentinnen und Dezernenten für die Inspektionsarbeit landesweit Vorreiter. Aber natürlich geht es nicht um bloße Wissensvermittlung.

Schon gar nicht um die Reduzierung des schulischen Auftrags auf ein begrenztes Fächerspektrum.

Der Mathematiker und Theologe Hans-Joachim Nolting steht für ein umfassendes Verständnis von Bildung und Erziehung. Werteorientierung – ja Herzensbildung – sind ebenso unverzichtbar wie die exakten Wissenschaften. Wobei – diese Bemerkung sei mir erlaubt – ich in meiner Ingenieurausbildung auch die philosophischen Tiefen und Untiefen der Mathematik kennen gelernt habe.

Das Schulprogramm des Ratsgymnasiums legt zu Recht Wert auf eine ganzheitliche Erziehung, auf eine Fortführung der Tradition der humanistischen Bildung, die die Persönlichkeitsentwicklung neben der Wissensvermittlung ernst nimmt. Ganz im Sinne von Comenius „Scholae sunt humanitatis officinae, efficiendo nimirum, ut homines vere homines fiunt“ Schulen sind Produktionsstätten der Menschlichkeit, sofern sie bewirken, dass aus Menschen wirklich Menschen werden. Dieser Leitlinie sollten sie mutig treu bleiben.

Diesen Appell richte ich natürlich an den Schulleiter und das Kollegium. Sie sollen und dürfen sich trauen, beim Eingehen auf die unterschiedlichen jungen Menschen, die Ihnen anvertraut sind, ebenso wie beim Setzen von Zielen und Grenzen. Sie sollten sich trauen, beim unermüdlichen Wecken der Neugierde der Schülerinnen und Schüler ebenso wie beim Bestehen darauf, dass gleiches Verhalten und gleiche Leistungen gleich beurteilt werden. Diesen Appell richte ich aber auch an die Eltern: Sie sollten sich trauen, Ihren Kindern und deren Schule weiter Stütze und Hilfestellung zu geben. Auch da ist der richtige Weg nicht immer der einfache Weg. Aber das Engagement zahlt sich aus und: Bringen Sie den Pädagoginnen und Pädagogen hier am Ratsgymnasium Wertschätzung entgegen. Sie leisten gerade an dieser Schule vieles, was nicht selbstverständlich ist. Sie haben diesen Beruf nicht wegen der Schulferien und der Verbeamtung ergriffen sondern wegen der schönen Aufgabe, mit und für junge Menschen zu arbeiten. Das meint nicht Liebedienerei und kritikloses Verhalten gegenüber der Lehrerschaft. Aber es meint die gegenseitige Stützung der Erziehungsaufgabe von Elternhaus und Schule und natürlich das offene Gespräch im Konfliktfall. Wir sind uns einig in der immer größer werdenden Bedeutung von guter Bildung und Erziehung. Deshalb werbe ich für ein Schulklima, das die Leistung von Pädagoginnen und Pädagogen entsprechend schätzt. Das Schulleben am Ratsgymnasium sucht weit und breit seines gleichen.

Das Ratsgymnasium verfügt mit den Fördervereinen und der Vereinigung der Ehemaligen über hervorragende Voraussetzungen, seinen Weg zwischen Tradition und Innovation auch in den kommenden schwierigen Jahren der Umgestaltung des Schulsystems zu machen. Dass Veränderung Not tut ist inzwischen allen klar. Aber machen wir uns nichts vor, Veränderung erzeugt immer auch Verunsicherung und mobilisiert Beharrungskräfte. Umso wichtiger ist die Stabilität die ein funktionierendes Schulleben, eine Kultur der Wertschätzung im Umgang miteinander und die richtige Führungspersönlichkeit geben. Dafür bietet das Ratsgymnasium hervorragende Bedingungen und der neue Schulleiter entsprechende Qualifikationen und Qualitäten.

Herr Nolting, mit der Einführung als Leiter des Bielefelder Ratsgymnasiums übertrage ich Ihnen ein sehr verantwortungsvolles Amt und eine wundervolle Aufgabe. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und eine glückliche Hand.